Margrit Roesch-Tanner (1880-1969)

Künstlerin und Künstlergattin

Biografie

Am 15. April 1880 geboren, wuchs Margrit Tanner in der weltoffenen, für ihre exquisite Textilkunst international bekannten Stadt St. Gallen in einer Stickerei-Fabrikantenfamilie auf. Erst dreijährig verlor sie ihre Mutter Johanna, geborene Müller (1854-1883). Ihr Vater August Tanner (1845-1907) heiratete in zweiter Ehe Anna Freuler (+1915). Margrit hatte einen älteren Bruder Raymond, der später mit seiner Frau in die USA auswanderte. Früh muss es für Margrit klar gewesen sein, dass sie eine künstlerische Laufbahn einschlagen würde. 1896-1899 war Margrit Tanner zur Ausbildung in Kunst und Kunsthandwerk an der École des Beaux-Arts in Genf. 1898 und 1899 erhielt sie für ihr Können eine Auszeichnungsmedaille.

1900 nahm sie in Zürich Zeichenunterricht bei Hermann Gattiker (1865-1950). Im selben Jahr wurde im St. Galler Tagblatt die Künstlerin Margrit Tanner gelobt für ein Chromotypie-Postkartenset zu einstigen Stadttoren, die sie nach alten Originalen in Aquarell gestaltet hatte. Mit ihren in Genf erworbenen Fachkenntnissen betätigte sie sich auch im familieneigenen Stickereibetrieb. 1907 besuchte Margrit in London ihre dorthin gezogene Freundin Martha Rosenheim-Reichenbach (1881-1971). Im September starb ihr Vater.

Von 1909 bis 1910 war Margrit mit ihrer Freundin Hanni Bachofner (1876-1963) zwei Jahre in München zur Weiterbildung am fortschrittlichen Lehr- und Versuchs-Atelier für angewandte und freie Kunst von Wilhelm Debschitz (1971-1948). 1910 begegnete sie in München dem Künstler und Grafiker Carl Roesch (1884-1979) aus Diessenhofen, der dort ab 1904 mehrere Wintersemester verbrachte. 1911 gründeten Margrit Tanner und Hanni Bachofner (1876-1963) in St. Gallen eine Kunstgewerbliche Lehrwerkstätte für Kinder und Erwachsene. Im Oktober organisierten die ehemaligen Debschitzler Hanni Bachofner, August Meinrad Bächtiger, Anton Blöchlinger und Bertha Odermatt im St. Galler Kirchhoferhaus eine Kunstgewerbliche Ausstellung. 1911, am 19. Juli, verlobten sich Margrit Tanner und Carl Roesch. Sie heirateten am 27. November. In Diessenhofen bezogen sie im Toggenburgerhaus am Rhein eine geräumige Wohnung. 1912, im Mai, unternahmen Margrit und Carl ihre erste vierwöchige Reise nach Paris. Zentrales Erlebnis wurde die Begegnung mit Werken von Paul Cézanne in der privaten Sammlung von Auguste Pellerin.

1913 traten sie dem eben gegründeten Schweizerischen Werkbund bei, dessen Ziel es war, die Arbeits- und Lebenswelt als Gesamtes gestalterisch zu erneuern. Dieser Gesamtansatz von Leben und Schaffen war für das Künstlerpaar essentiell. Beide beteiligten sich an Werkbundausstellungen. 1915, im November, gewann Margrit den 1. Preis mit Entwürfen zu Linoleum-Mustern des Wettbewerbs der Schweizerischen Linoleum-Fabrik in Giubiasco.

Kunstgewerbliches Schaffen:

Die Entwicklung und Realisierung von Stoffmustern war ein Schwerpunkt ihrer frühen Arbeiten. Sie schuf auch Metallarbeiten, Schmuckstücke, Keramiken und Stickereien. Experimentierfreudig eignete sich Margrit im Lauf der Jahre weitere Techniken an: Weben, Batikdruck, Linolschnitt. Und sie beschaffte sich einen eigenen Webstuhl. Auf Farbflecken reduzierte Figuren-Kompositionen von Carl wurden Vorlagen für ihre Webteppiche. Von seinen abstrahierten, auf Umrisse reduzierten Figurenbildern machte sie Batikdrucke.

Zeichnen und Malerei:

Eigene Beobachtungen setzte sie um im Zeichnen, Aquarellieren und in der Ölmalerei. Es entstanden scheinbar leicht hingeworfene Zeichnungen oder durchlichtete Aquarelle. Die Landschaftsausschnitte ihrer Ölbilder, die Stillleben und Bildnisse zeugen von einer mühelosen Sicherheit der Komposition und des Farbauftrages. Sie sind unspektakulär, unverkrampft und von verblüffender Einfachheit. Margrit schuf diese Arbeiten für sich und legte sie, ohne sie zu zeigen, in „ihre Schublade“. So entstand unbemerkt ihr kleines Werk. Erst nach ihrem Tod am 2. Dezember 1969, war im Mai 1970 eine Auswahl ihrer Ölbilder, Aquarelle und Zeichnungen als Ausstellung des Frauenfelder Kunstvereins im Berner Haus in Frauenfeld zu sehen. Zur Gedenkausstellung erschien eine illustrierte Broschüre mit Texten von Jürg Ganz, Albert Knoepfli und Urs Roesch. Ihre Werke zeugen von einer Könnerschaft, der man rückblickend eine grössere Entfaltung gewünscht hätte.

Künstlerische Zusammenarbeit des Ehepaars Roesch-Tanner:

Statt sich auf die weitere Entwicklung des eigenen Oeuvres zu konzentrieren, wurde für Margrit die künstlerische Zusammenarbeit mit Carl zur Lebensaufgabe. Es war ihre Begabung, dass sie in seinen Bildern schnell sah, was fehlte, nicht stimmte und wie das zu ändern wäre. In gewissem Sinn entwickelten und beschritten sie Carls künstlerischen Weg gemeinsam. Bis 1960 waren zahlreiche Kunst am Bau-Aufträge Schwerpunkt seines Schaffens. So wurde Margrit auch tatkräftige „Arbeitskameradin“, wie Carl sie nannte. Bei den Mosaikwerken half sie ihm, im Atelier nach seinen präzisen Vorlagen unzählige Steine farblich kontrapunktisch in die einzelnen Quadratflächen zu setzen. Nachher wurden die Teile zusammengefügt und an die jeweilige Wand gepflastert. Bei den Wandmalereien machte Margrit bei Carl regelmässig Begutachtungsbesuche. Öfters stieg sie selber aufs Gerüst und half mit beim Malen. Viel Mal-Assistenz leistete sie während der Fassadenerneuerung der Tobias-Stimmer-Fresken am Haus zum Ritter in Schaffhausen.

Reisen, Beziehungen:

Permanent setzten sich Margrit und Carl mit Kunst auseinander, dies durch regelmässige Ausstellungsbesuche, Studium von Kunstbüchern und Reisen nach Italien, Frankreich, Holland, England, Deutschland. Oft waren sie im Tessin, wohnten häufig bei der Bildhauerfamilie Emma und Max Uehlinger (1894-1981) in Minusio und pflegten intensiven Austausch mit der Tessiner Kunst- und Kulturwelt. Ein Anliegen war Margrit die Pflege der eigenen Beziehungen. Sie verreiste deshalb öfters allein. Und sie war – im Gegensatz zu Carl – sehr sportlich, ging Skifahren, Eislaufen, Wandern. Jährlich traf sich ein Freundinnenkreis bei Fanny Schmidheiny (1881-1967) auf Schloss Heerbrugg, wo das Ehepaar Roesch auch sonst regelmässig eingeladen war. Zusammen mit Carl führte sie selber ein offenes, gastfreundliches Haus. Architekten, Auftraggeber, Kunstschaffende, Galeristen, Sammler, Verwandte, Freundinnen und Freunde kamen häufig ins Atelierhaus. Die nachmittägliche Teerunde war legendär.

Margrit Roesch-Tanner-Raum im Atelierhaus:

Die Ausstellung einer Auswahl ihrer kunsthandwerklichen Werke, zusammen­gestellt und präsentiert durch Lucia Angela Cavegn, Kuratorin der Carl und Margrit Roesch-Stiftung, ermöglicht einen neuen Zugang zu Margrit Roesch-Tanner und würdigt ihre Bedeutung als eigenständige Künstlerin und Kunsthandwerkerin. Das weitgehend original belassene Atelierhaus von Carl und Margrit Roesch-Tanner befindet sich an der Steinerstrasse 7b in 8253 Diessenhofen und kann im Rahmen eines geführten Rundgangs besichtigt werden (Termin nach Vereinbarung: kuratorium@carl-roesch.ch).

Text: Dr. Tildy Hanhart, Kunsthistorikerin

Quellen: Margrit Roesch-Broschüre 1970. Notizen von Helga Sandl, Kunsthistorikerin, zum Nachlass von Margrit Roesch-Tanner. Tagebücher von Carl Roesch. Texte von Carl Roeschs Neffen Urs Roesch. Internet-Recherchen.

Ausführliche Biografie zu Margrit Roesch-Tanner
Erinnerungen von Urs Roesch an seine Tante Margrit