Carl Roesch an der Landi
Text von Urs Roesch
«An die «Landi» 1939 erinnere ich mich gut. Sie war eine Mischung aus den frühen Landesausstellungen, die für die beteiligten Firmen fast reinen Werbe- und Verkaufscharakter hatten und einer neuen Auffassung, bei der aktuelle Themen (die Thematik) und die Landesrepräsentation im Vordergrund standen. Auf der «Landi» vertreten zu sein, musste man sich mit teurem Geld erkaufen. Als Aussteller war man dort Verkäufer, in der Hoffnung, Kunden zu finden. «Roesch Möbel» war damals schon ein Begriff, der überregional bekannt war. Die Firma unter der Leitung meines Vaters Titus erhielt den Auftrag, das «Haus eines Musikfreundes» auszustatten. Es wurde mit grossem Engagement ausgeführt. Auch Carl stellte darin mehrer Aquarelle aus. Seine Bilder dort in einem so guten Umfeld zu sehen, gefiel mir sehr. Als Vierzehnjähriger hingegen Preise zu nennen und als Verkäufer zu agieren, gefiel mir weniger. Fast die gesamte Ausstattung und wohl auch die Bilder von Carl wurden an die Luzerner Baumeisterdynastie Vallaster verkauft. Ein Glücksfall! Frau Vallaster war mit dem Chefarchitekten der «Landi», Professor Hans Hofmann verwandt und er hatte ihnen zum Kauf geraten. Carl gestaltete auch für den «Steinhof» mehrere Mosaike und im Raum «Kirchliche Kunst» war das für den Altar der Kirche in Oberuzwil 1936 gestaltet Christusmosaik angefordert worden. Die Kirche Oberuzwil wurde allgemein als Beispiel kirchlicher Kunst gezeigt. Carl war enttäuscht, dass er nicht mehr einbezogen wurde. Um meinen Erinnerungen nachzuhelfen, durchblätterte ich 12 kg Papier mit über 1600 Seiten, zwei dicke Bücher und Dokumentationen zur «Landi», die seit 1940 verstaubt im Regal stehen. Sie enthalten leider nicht einen Hinweis, weder auf das «Haus eines Musikfreundes» noch auf Carl oder Titus Roesch, geschweige denn ein Bild.
Beim Durchblättern aber wird mir klar: Carl war viel zu modern, zu wenig plakativ. Gefragt waren intensive, direkte Aussagen in etwas gesucht modernem Stil. Das war nicht Carls Interesse. Und auch an das «Dörfli» erinnere ich mich wieder. Es war auf der Südseite angesiedelt, das «Haus eines Musikfreundes» hingegen auf der gewichtigeren und seriöseren Nordseite. Nur selten konnte ich hinüber wechseln. Dreissig Rappen für die Überfahrt mit dem Schiff waren für mich ein Vermögen. Und so versteht es sich von selbst, dass ich auch nicht für 1.50 am Drahtseil hinüberschweben konnte. Nur ein paar Mal leistete ich mir den Luxus, für 20 Rappen mit dem Schifflibach zu fahren. Das sind meine eindrücklichsten Erinnerungen.
Es war schon eine einmalige Konstellation damals. Hitler ante portas. Der kalte Hauch der Macht. Eine erdrückende Bedrohung. Und ein Volk feiert mit Galgenhumor! Zelebriert eine Wehrkraft, die gar nicht vorhanden war. Das kleine Stachelschwein - wie Hitler es nannte - hätte sich sicher gewehrt. Die Stacheln wären im Sturm der hochgerüsteten deutschen Armeen rasch zersplittert. Das wusste man schon bevor die Erfolge der deutschen Angriffsmaschine manifest wurden.»
Urs Roesch (*1925), der Neffe von Carl und Margrit Roesch, ist Erbe des Nachlasses des Künstlers.
Allgemeines zur Landesausstellung:
Die «Landi» (Landesausstellung) von 1939 in Zürich war geprägt von der politischen Situation in Europa. Die als wirtschaftliche Leistungsschau angelegte Ausstellung legte einen Schwerpunkt auf die «geistige Landesverteidigung». Demonstrativ wurde die kulturelle Eigenständigkeit und nationale Unabhängigkeit der Schweiz in der Inszenierung ihrer Tradition gezeigt. Themengruppen wie «Heimat und Volk» und "Kultur des Geistes und des Körpers" boten Raum diese Heimatverbundenheit auszudrücken. Legendär wurde das «Dörfli» (es bestand aus Häusern in regional traditionellem Baustil verschiedener Kantone). Während der Ausstellung brach der Zweite Weltkrieg aus und die «Landi» wurde für drei Tage geschlossen.
Auf der anderen Seite prägte die «Landi» 1939 modernes Design und moderne Architektur. Der «Landi-Stuhl» von Hans Coray und der sachliche Baustil der meisten Pavillons, der unter der Bezeichnung «Landistil» in die Schweizer Architekturgeschichte einging, stehen noch heute für die Impulskraft und Modernität der Schweiz dieser Zeit. Renommierte Architekten wie der Chefarchitekt der Landesausstellung Hans Hofmann, Hans Fischli, Hans Schmidt unter Mitarbeit von Max Bill gestalteten u. a. Musterhäuser. Die Ausstellung von 1939 wurde in der kriegsbedrohten Situation zu einer vom ganzen Volk getragenen Manifestation der Eigenständigkeit. Sie gab dem Selbstverständnis der Schweiz, der Architektur und der Kunst Impulse, die bis heute wirken.
Die «Landi» 39, so das EXPO Archiv wurde zum «Inbegriff dieser Veranstaltung». Auch die Werke von Carl Roesch waren Teil dieser prägenden Ausstellung. Dass er dabei in einem ästhetischen Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne agierte, steht vielleicht sinnbildlich für sein gesamtes künstlerisches Schaffen: Er meisterte selbstbewusst den Balanceakt zwischen moderner Formbildung und tradierten ästhetischen Vorstellungen und Werten, indem er beides miteinander verknüpfte. Bewusst verzichtete er auf folkloristische Elemente und setzte an ihre Stelle Formen einer ursprünglichen Einfachheit. Damit verschob er den Blick auf etwas für ihn Wesentliches, das unabhängig von landesspezfischen Traditionen eine Art kulturelles und künstlerisches Fundament bildete.
(Helga Sandl, Kunsthistorikerin)