Neffe des Ehepaars Carl und Margrit Roesch-Tanner
Zusammenfassung aus vielen Gesprächen mit Urs Roesch von Helga Sandl
Urs Roesch ist ein wunderbarer Erzähler. Nicht nur kennt er viele Geschichten, er weiss sie auch mit Humor und Charme lebendig werden zu lassen.
Es kommt vor, dass er abschweift, weil jede Geschichte von vielen anderen Geschichten durchkreuzt und überlagert wird. Jede Abzweigung ist ein lohnenswerter kleiner Umweg für den Zuhörer, denn immer erfährt man Neues. Kleine Anekdoten wachsen zu grossen Geschichten - und herzlich lachen kann man auch zusammen mit ihm.
Zu Anfang, am 23. Mai 1925 wollte er wohl geboren werden, liess sich nicht aufhalten, im Auto, auf dem Weg zum Spital, mitten auf der Rheinbrücke, so erzählte es ihm seine Mutter, kam er zur Welt. Die Mutter, Elisabeth Keyssner entsprang einer wohlhabenden Industriellenfamilie aus dem Sächsisch-Thüringischen Raum. Während des Ersten Weltkrieges lernte sie im Spital im sächsischen Koburg, wo sie als Aushilfskrankenschwester Verwundete versorgte, Titus Roesch kennen. Gegen den Willen der Familien heirateten die beiden 1920. Eine für die damalige Zeit ungewöhnliche Verbindung: Titus Roesch, Sohn eines Schreiners, katholisch erzogen und die, aus einem gutbürgerlichen, evangelisch geprägten Haushalt stammende Elisabeth. Für Elisabeth war das Einleben in die dörflichen Gepflogenheiten und die streng katholische Verwandtschaft nicht immer leicht. Drei Mal jährlich kam der katholische Pfarrer zu Familie Roesch ins Haus, um zum Leidwesen von Urs seine religiöse Erziehung zu prüfen, so erinnert sich Urs gut aber ungern.
Schöner war es da, mit den Frauen und Kindern des Dorfes gemeinsam im Rhein Schwimmen zu gehen. Eine Gewohnheit, die Urs heute noch pflegt. Bis weit in den Oktober hinein lässt er sich nicht davon abhalten. Gerne denkt er an das Leben im Städtli, an den Käseladen seiner Grossmutter Thomasine, den sie leider nicht sehr erfolgreich betrieb, weil sie zu grosszügig war, das ein oder andere Gramm nicht abwog und viel Käse verschenkte, so waren die Einnahmen geringer als die Ausgaben - der Laden musste schliesslich geschlossen werden.
"Das Haus in der Hauptstrasse ging durch bis zur Hintergasse. Dort war denn auch mit den vielen anderen Kindern mein Lieblingsspielplatz. Chlürele, Hüpfspiele, Sändele, bei Regen Bächli ziehn und Fangis durchs ganze Städtli. Die Hintergasse mit den Misthaufen, dem Gang der Kühe zur Tränke an die Brunnen und den vielen Kleintierställen war chaotisch, ineinander verschachtelt, einfach wunderbar. Um 1930 wurde das Haus verkauft. Ich war Siebenjährig als wir aus dem Städtli in die neue Wohnung an die Grossholzstrasse vis a vis des Bahnhofs zogen." Ein grosser Einschnitt im Leben von Urs.
Als Schreinersohn hatte Urs früh Verpflichtungen, es galt mit anzupacken, Möbel zu verkaufen und Ausstellung zu bewachen, Dinge die dem jungen Urs Überwindung kosteten.
Viel lieber war ihm das Holzlager als idealer aber auch nicht ungefährlicher Spielplatz mit guten Verstecken: "Im grossen Bretterlager, in dem ich als Kind spielte, blieben die versteckten Schätze - verbotene Tonpfeifen, Messer, Zündhölzer, Schleckereien - über viele Jahre ungestört am selben Ort."
Schöne Erinnerungen verbindet er auch mit den Geschenken, die ihm Onkel Carl von seinen Reisen mitbrachte: "So bekam ich einmal ein Modellschifff, ein wertvolles Ausstellungsschiff. Ich wollte es natürlich ausprobieren. Schon auf dem Weg zum Wasser demolierte ich es, weil es gross war und ich es am Boden schleifte. Ich wusste nicht, dass es nicht wasserdicht war und kaum zu Wasser gelassen, ging es unter. Ich habe es kurzerhand versenkt. Das einzige Mal," so Urs, "dass Onkel Carl böse mit mir war."
Mit etwa 17 schenkte Carl ihm auch einige Gemälde, die er heute noch besitzt. Richtiges Interesse an der Kunst hatte er in seinen jungen Jahren nicht, das entwickelte er erst durch seine Frau Dorothee. Ihr Interesse und Engagement steckten auch Urs in späteren Jahren an.
Urs empfand auch bei sich selbst keine künstlerische Ader, auch interessierte ihn das Schreinerhandwerk nicht, die Naturwissenschaften hatten es ihm angetan: Physik und Chemie. Zuhause im eigenen kleinen Labor konnte er so manches Experiment dank der Literatur seines Onkels Ernst, der als Chemiker bei der BASF tätig war und dem freundlichen Apotheker Herrn Brunner, der ihm sehr günstig Chemikalien überliess, ausführen. Der Vater, Titus war wenig begeistert vom Hobby seines Sohnes. "Als ich am Schluss der Seki den Wunsch äusserte, Chemiker zu werden, warf mein Vater noch am selben Tag meine im Schlafzimmer aufgebaute chemische Sammlung durch das Fenster hinaus auf die Gasse. Wunderbar leuchtete der Magnesiumstreifen, als das Glas zerbrach. Nach einer kurzen Trotzphase bin ich dann ganz gerne Schreiner geworden." Adolf Bruder, ein Schreiner aus Paris wurde Urs' Lehrmeister: "Der beste Schreiner, den ich je kennen gelernt habe, ein Genie in seinem Beruf und ein sehr liebenswerter Mensch." Auch Margrit pflegte intensiven Kontakt zur Schreinere. Sie hatte eigene Möbelideen. Auch die Bilderrahmen für den Onkel Carl wurden dort angefertigt.
Der Umgang mit Holz, die Möglichkeit, etwas zu Neues zu gestalten, kleine Erfindungen zu machen, das gefiel Urs. Und so zählte er auf der Gewerbeschule zu den Besten. Die systematische Konstruktionsweise, die sachlich reduzierte Sprache des bauhauses wurden später zur Grundlage seiner eigenen Möbelentwürfe. Mit dem "Modulor" von le Corbusier kontrollierte er die Richtigkeit und Verhältnismässigkeit all seiner Entwürfe. Max Bill wurde Urs grosses Vorbild. Seine ästhetischen Grundsätze waren die Richtschnur für Urs eigene Entwürfe. Eine geraume Zeit lang führte Urs auch die Entwürfe von Max Bill aus. Die Zusammenarbeit mit ihm faszinierte ihn: " Bill war neugierig und immer offen für gute Vorschläge und Verbesserungen. Ich konnte mich einbringen und Bill wurde für mich zu einem weiteren sehr guten Lehrer."
Als Mitglied der Werkgenossenschaft Wohnhilfe, die sich 1945 zusammengeschlossen hatten, zählte Urs Roesch zu den innovativen Schreinern seiner Zeit. Ziel war die Entwicklung und Herstellung moderner, einfacher Möbel für den Wiederaufbau Europas nach dem Zweiten Weltkrieg. Namhafte Designer wie Jacob Müller, Max Bill, Willy Guhl, Wilhelm Kienzle haben Wohnhilfe-Möbel entworfen. Sie zählen heute zu den Möbelklassikern. In einem eigenen Laden, zuerst in Schaffhausen, später in Zürich, wurden sie zum Verkauf angeboten. Darunter befanden sich auch die von Urs gegründete Diogenes-Reihe, eine Möbelserie aus Spanplatten, die in der Roesch Schreinerei gefertigt worden waren und Kinderbetten in 100-Serie.
Für seine eigenen Entwürfe erhielt Urs mehrmals die begehrte Auszeichnung "die gute Form", die Max Bill ins Leben gerufen hatte. Urs Roesch zeigte Geschick und Innovationskraft. Trotzdem stand er seinem eigenen Können immer etwas kritisch gegenüber: "Die Leistungen meiner Kollegen, wie etwa Jakob Müller habe ich immer höher eingeschätzt als meine eigenen, das hing natürlich mit meiner Ausbildung zusammen. Ich war ja nur Schreiner."