Reformierte Kirche Amriswil 12 Glasfenster 1922 bis 1923

Die reformierte Kirche Amriswil wurde 1891 vom St. Galler Architekten August Hardegger (1858-1927) in neogotischem Stil erbaut. Hardegger zählt in der Deutschschweiz zu den bekanntesten Kirchenbauern des Historismus. Die Kirche in Amriswil erfuhr im Laufe der Jahrzehnte grössere Umbauten.

Heute zeigt sich der Innenraum mit einer eingezogenen Decke, die das darüberliegende Kreuzrippengewölbe verdeckt. Der ehemals runde Chorraum wurde 1944 abgetrennt und liegt hinter einer Wand verborgen. Im Zuge der Renovierungsmassnahmen von 1922 bis 1923 wurden drei Rosettenfenster zugemauert. Für die Lanzett-Drillingsfenster mit überhöhtem Spitzbogen und abschliessendem Masswerk erhielt Carl Roesch den Auftrag, Szenen aus dem Neuen Testament zu entwerfen. Zehn der Fenster handeln vom Leben und Wirken, dem Kreuztod und der Auferstehung Jesu. Zwei Fenster sind rein ornamental gestaltet, sie befinden sich an beiden Seiten der Empore. Der Zyklus beginnt im Langhaus links mit «Christi Geburt» und der gegenüberliegenden «Taufe Jesu», es folgen die «Heilung der Blinden» und «Jesus und die Kinder», mittig sind die «Auferstehung» und «Kreuzigung», gefolgt von den Darstellungen des «Samariters» und des «Verlornen Sohnes», das Ende bilden die «Kreuztragung» und die gegenüberliegenden «Grablegung».

Die ornamental-tektonische Rahmung gewinnt in Roschs Ausführung eine starke Gewichtung und bestimmt den farbigen Gesamtcharakter jedes Fensters massgeblich. Die einzelnen Drillingsfenster lässt Carl Roesch in einer Art Grundton leuchten, der sich aus weichen, sehr harmonischen Farbklängen zusammensetzt.

Die Figurengruppen erfahren eine thematische und räumliche Verdichtung und Umwertung, indem Roesch sensibel Überlieferung und eigene Interpretationen bzw. Auslegung kombiniert. So hält in der Geburtsszene nicht Maria das Kind, noch liegt es in der Krippe, wie es üblich ist, sondern Josef trägt das Kind in seinen Armen, während Maria abgewandt ins Gebet vertieft ist. Auch im «Gleichnis des verlorenen Sohnes» wandelt er die Erzählung ab. Statt des zu Hause gebliebenen treuen Sohnes stellt Carl Roesch eine Tochter dar. In der dominanten Auferstehungsszene nimmt Roesch bewusst Bezug zum «Isenheimer Altar» von Matthias Grünewald auf und übersetzt das Ölgemälde in die Glasmalerei. Selbstbewusst setzt er sein Werk damit einerseits in eine Traditionslinie mit Grünewald, andererseits integriert er sich mit dieser Adaption in das neogotische Gesamtkonzept der Kirche. Der Rückgriff auf Grünewald ist sicher auch eine Reminiszenz, die im Zusammenhang mit dem Kultstatus steht, den der «Isenheimer Altar» nach dem Ersten Weltkrieg einnahm. Aus Sicherheitsgründen war der Altar 1917 von Colmar nach München gebracht und in der Alten Pinakothek ausgestellt worden. Grünewalds Hauptwerk beeindruckte nicht nur ein breites Publikum, sondern inspirierte auch zahlreiche andere Künstler nachhaltig.

(Text: Helga Sandl / Kunsthistorikerin)