Der eigene Weg

Text von Tildy Hanhart

Carl Roesch lebte, abgesehen von einigen Auslandaufenthalten und Reisen, im thurgauischen Rheinstädtchen Diessenhofen. Geboren wurde er im gegenüber liegenden deutschen Gailingen. Hier erhielt er seine Prägung. Sein Atelierhaus baute er auf der Flussböschung neben der mittelalterlichen Stadtmauer und dem Wehrgraben. Das grosse Atelierfenster ist nach Norden ausgerichtet, davor der Sitzplatz mit Blick auf den Rhein, das deutsche Ufer und den Gailinger Berg. Hier an der Peripherie, die zugleich Grenze ist, und an einem Fluss, der bis zum Meer führt, hat Carl Roesch sein Leben verbracht als frei schaffender Künstler und als Gestalter zahlreicher öffentlicher Aufträge. Zunächst meinte Carl Roesch, die ihn umgebende Region sei spannungslos, ungeeignet, sie künstlerisch umzusetzen. Doch dann wurde die Flusslandschaft seine Welt. Alles, was ihn umgab, wurde zum Bildanlass. Die Menschen als Gehende, Stehende, ins Gespräch Vertiefte, im Feld Arbeitende, Ruhende, Badende, Wäsche Aufhängende, das Vieh Treibende, Tennis Spielende. Die Häuser, Gassen, der Henketurm, der Fluss, die Felder, Bäume, Schreberhütten, Gärten, ein Fleck Erde, Interieurs, Stillleben. In allem, was ihn umgab, entdeckte er eine Stimmigkeit, die er gestalterisch zum Ausdruck bringen wollte und ihn schliesslich zu den wunderbar schwebenden Fleckenkonstellationen seines Alterswerks führte. Roesch suchte Ähnliches wie Giorgio Morandi mit seinen Flaschenstillleben oder wie Cézanne mit seinen lichten Landschaften, das im Vordergründigen Verborgene. In seinem langen Leben hat Carl Roesch ein umfangreiches Oeuvre in den verschiedensten Techniken geschaffen: Ölbilder, Gouachen, Aquarelle, Tempera, Pastelle, Radierungen, Monotypien, Zeichnungen, Kugelschreiberskizzen, Mosaiken, Wandmalereien und Glasfenster.

Seine begrenzte formale Ausbildung erweiterte er durch Auslandaufenthalte und Reisen, Ausstellungsbesuche, tägliches Studium von Fachbüchern, Literatur und Philosophie, Austausch mit Kunstschaffenden und Kunstfachleuten. Diszipliniert verfasste er Tagebuch- und Werknotizen. Wesentlich und unersetzlich waren für ihn die kritische Begleitung und die Beurteilung seines Schaffens durch seine Frau Margrit Tanner, ausgebildete Malerin. Entscheidende Anregung empfing er von den Werken jener Maler, die ihn wie einen Blitz trafen. Den Anfang machten die Werke von Hans von Marées, denen er in München begegnete, weitere Eckpfeiler wurden Paul Cézanne, Giotto, Piero della Francesca, der ungeheure Picasso, der hemmungslose Matisse. Diese Titanen forderten ihn heraus, zugleich empfand er sich in seiner Peripherie verwurzelt und wusste, dass hier seine Aufgabe lag. Er brauchte aber den Weltbezug, um das, was ihn umgab, ans Licht zu holen.

Stets war Carl Roesch darauf bedacht, den für ihn stimmigen Weg zu gehen. Er wollte keine Abhängigkeit. So schlug er als junger Mensch die Offerte des Winterthurer Kunstsammler-Ehepaars Hedy und Arthur Hahnloser aus, das ihm einen Studienaufenthalt in Paris finanzieren wollten. Ebenso vermied er es, sich an eine Galerie zu binden. Seine Galerie waren, wenn man so will, die Auftragswerke, nämlich Wandmalereien, Fresken, Glasfenster, Mosaiken in Kirchen, Schulhäusern und an Fassaden verschiedenster Gebäude in der Ostschweiz, in den Kantonen Zürich und Aargau. Bei den Auftragswerken, der Kunst am Bau, hatte Roesch eine thematische Vielfalt zu bewältigen von biblischen, alltäglichen, historischen bis zu philosophischen Inhalten. Stets galt es, die entsprechende Bildidee zu finden, die adäquate Form und Technik. Entsprechend hat Roesch die Geschichte, Entwicklung und Technik der Wand- und Freskenmalerei studiert, ebenso die Glasfenster- und Mosaikkunst. Die meisten Aufträge holte er in Wettbewerben. Mit diesen konnte er seinen Lebensunterhalt bestreiten, zugleich war es eine Möglichkeit, in der Öffentlichkeit präsent zu sein und sich dem Wettbewerb mit anderen Kunstschaffenden zu stellen.

Carl Roesch ging es nicht um eine Stilrichtung, sondern darum, aus dem Eigenen das zu schaffen, wozu er voll stehen konnte und wovon er überzeugt war. Er suchte eine Selbstverständlichkeit, eine Schlichtheit des Ausdrucks. Nach der motivischen Fülle der frühen und mittleren Jahre konzentrierte er sich in seinem Alterswerk auf die Darstellung weitgehend abstrakter Figurengruppen vor einem Horizont. Mit diesen späten Kompositionen ist ihm gelungen, wonach er sein Leben lang suchte, nämlich eine Darstellung für die menschliche Existenz im Raum. Heute ist Kunst sozialpolitisch engagiert, bei Roesch ging es um die Visualisierung des Daseins.

Tildy Hanhart, einstige Nachbarin, Kunsthistorikerin und Journalistin, gehörte zum Freundschaftskreis in seinen letzten Jahren